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Aufführung von H. Schroeders Matthäuspassion 1965


P. Martin Uhlenbrock OSB (Abtei Gerleve), Eine Aufführung der Matthäus-Passion, erschienen in: Mitteilungen der Hermann-Schroeder-Gesellschaft, Heft 3, 2003, S. 63-66
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Da ich einen Originalbrief des verehrten Herrn Prof. Hermann Schroeder besitze, machte mich Frau Monika Damm, Essen, darauf aufmerksam, daß das Archiv der Hermann-Schroeder-Gesellschaft dankbar für den Erwerb dieses Dokumentes sein würde. Gerne übergebe ich hiermit dieses Schreiben. Der Hintergrund des Briefes von Prof. Schroeder ist folgender: Die liturgischen Veränderungen, die eine Folge des II. Vatikanischen Konzils waren, brachten besonders für eine Benediktinerabtei Probleme mit sich. Vor allem die Möglichkeiten der Gestaltung von Offizium und Messe in deutscher Sprache führten mancherorts zu herben Spannungen in den Konventen.

Als ein Beispiel von vielen möchte ich hier anführen: Im Jahre 1965 ging es um die erstmalige deutschsprachige Gestaltung der Gottesdienste der Karwoche. Am Palmsonntag und am Karfreitag wurden bei uns immer die Passionsberichte in lateinischer Sprache mit verteilten Rollen vorgesungen. Diese Gesänge haben eine tausendjährige Tradition im Gregorianischen Choral. Wie sollte man sie verdeutschen? Unserem damaligen hochverehrten Abt Dr. Pius Buddenborg wie auch mir selbst war eine deutsche Fassung gut bekannt, die aus den dreißiger Jahren stammte, sich dem gregorianischen Ton sehr anpaßte und auch in Pfarrgemeinden gerne benutzt wurde. Mir persönlich entsprach diese Fassung aber in keiner Weise dem allgemeinen Niveau unseres Gottesdienstes, es sei denn, ich hätte zahlreiche sprachliche und musikalische Verbesserungen hineingebracht. In den Vorbesprechungen zur Karwoche brachte ich meine Bedenken vor, wurde aber recht barsch darauf hingewiesen, daß nur der gregorianische Ton der Passionen zu unserem gregorianischen Gottesdienst passe. Als ich erwähnte, ein allgemein bekannter und bedeutender Musiker aus Köln, Prof. Hermann Schroeder, habe eine sehr stilvolle, dem gregorianischen Melos angepaßte neue Passion komponiert, erntete ich einen Wutausbruch mit den Worten: „Hüten Sie sich, jemals moderne Musik in unseren Gottesdienst zu bringen! Setzen Sie sich gefälligst hin und korrigieren Sie die alten deutschen Passionen, auch wenn es Tag- und Nachtarbeit kostet.“ Zwei Tage war ich gehorsam und verbesserte Text und Melodien, dann sah ich die Unmöglichkeit der Arbeit und die gewisse Primitivität einer solchen Adaption ein und wurde wieder beim Vater Abt vorstellig. (Er lag krank zu Bett, krank wegen der zahlreichen anderen Probleme der neuen liturgischen Fragen.) Mit höchsten Bedenken erlaubte er den Gebrauch der Matthäus-Passion von H. Schroeder am Palmsonntag. Aber, so fügte er hinzu, ich hätte mich "zu verantworten vor dem ganzen Konvent, falls Protest und Widerstand laut würden“. Ich war mir völlig sicher der hohen Qualität der Passionen, und wir sangen die Matthäus-Passion erstmals 1965 mit drei ausgewählten Stimmen; die „Turbae“ sangen wir zu dritt, aber einstimmig.

Das Echo nach dem Gottesdienst: noch in der Sakristei kam Vater Abt Pius in Pontifikalgewändern auf mich zu und sagte bewegt: „Großartig, großartig! Gibt es von Schroeder auch eine Passion für den Karfreitag?" – Ich konnte es bejahen, weil ich längst alles vorbereitet hatte. Beim Konvent und allen musikalischen Gläubigen, die ich anschließend sprach, war das Echo außerordentlich positiv, weil jeder spürte, daß der Text sehr sprachbewußt behandelt wird und auch die musikalische Ausdrucksform schlechthin gelungen und dem gregorianischen Melos adäquat ist. Wir singen bis heute, also seit 35 Jahren, am Karfreitag diese Passion von Prof. Schroeder, alternieren aber seit einigen Jahren mit der auch recht ansprechenden Passionsvertonung von Georg Blasel (erschienen 1969 bei Laumann).

Es wundert mich im Grunde sehr, daß wir in Deutschland seit dem Konzil, d.h. seit fast 40 Jahren, noch immer keine gültige neue musikalische Kompositionsform für Gesänge dieser Art gefunden haben. Es fehlen halt gute Musiker, wie Prof. Hermann Schroeder einer war. Die Hoffnung sollen wir allerdings nicht aufgeben!